Der sportliche Agon
Während der römischen Kaiserzeit gewinnen Darstellungen
von Athleten beim Wettkampf oder bei der Siegerehrung zunehmend an Bedeutung
als Dekor von Bodenmosaiken in öffentlichen wie auch privaten Gebäuden.
In Griechenland wurden bisher sieben Mosaiken des 2. bis frühen 4.
Jh. n.Chr. gefunden, die dem Thema des sportlichen Agon gewidmet sind. Aus
dieser Gruppe sollen zwei Mosaiken in Larissa und Samos wegen ihrer ungewöhnlichen
Ikonographie im folgenden ausführlicher untersucht werden.
Das Mosaik im Museum von Larissa stammt vermutlich aus einer Therme – ein
Ort, der bevorzugt von Sportlern aufgesucht wurde. Das Bild führte
ihnen anschaulich den Lohn für einen siegreichen Wettkampf vor Augen.
Dargestellt sind Nike und Eros – die Götter des Sieges und der Liebe.
Sie stehen in statuarischer Pose frontal nebeneinander und halten Gegenstände,
die siegreichen Athleten als Auszeichnung verliehen wurden: Palmzweige,
Purpurtänie und Siegeskranz.
Nike trägt einen langen gelben Chiton, der unterhalb
der Brust gegürtet und in der Mitte mit einem senkrechten, roten Streifen
verziert ist. Um ihren Körper ist locker ein grüner Mantel drapiert.
Das nach hinten frisierte Haar ist über der Stirn zu einem schleifenförmigen
Knoten zusammengebunden. Mehrere unverzierte Armreifen vervollkommnen das
Bild einer schlicht, doch zugleich würdevoll gekleideten Göttin.
Nike hält demonstrativ einen Kranz aus Olivenzweigen über das
Haupt von Eros. Beide Götter sind geflügelt - eine wichtige Gemeinsamkeit,
die auf Ähnlichkeiten in ihrem Charakter schließen läßt.
Eros befindet sich nahezu in der Mitte des Bildfeldes und ist dadurch eindeutig
als Hauptfigur hervorgehoben. Nike wurde hingegen an den rechten Rand gedrängt,
so daß ihre Flügel eng am Rücken anliegen. Es ist trotzdem
nicht auszuschließen, daß der Mosaizist Nike heranschwebend,
in einer Art Epiphanie darstellen wollte, denn die Göttin befindet
sich auf einem etwas höheren Niveau als der Liebesgott und unter ihrem
Gewand weisen die Fußspitzen senkrecht nach unten.
Im Unterschied zu seiner Begleiterin ist Eros ganz nackt
wiedergegeben. Die weichen Körperformen und das füllige Gesicht
unterstreichen sein kindliches Wesen. Er trägt eine typische Kinderfrisur
aus langen Haaren, die nach hinten gekämmt und auf dem Scheitel zu
einem Zopf zusammengefaßt sind. Einzelne Strähnen fallen kokett
auf seine Schultern herab. Ein einfarbiges Band schmückt seinen Hals.
Durch die eingangs erwähnten Siegesabzeichen (Palme, Binde und Kranz)
ist Eros hier eindeutig als Gott des Wettkampfes charakterisiert. Seine
geläufigen Attribute, Pfeil und Bogen, sind ihm in diesem Fall nicht
beigegeben.
Der Liebesgott spielte in antiker Zeit eine wichtige Rolle im
sportlichen Bereich. Er selbst tritt häufig als Ringkämpfer, Läufer,
Reiter oder Wagenlenker auf. Im Vergleich zu Nike wird er in der bildenden
Kunst jedoch relativ selten direkt mit Athleten in Verbindung gebracht.
Nike hat als Personifikation des Sieges schon seit archaischer Zeit einen
engen Bezug zu den Olympischen Spielen und anderen panhellenischen Festen.
Auf Vasenbildern tritt sie deshalb häufig zusammen mit Sportlern auf,
beobachtet den Wettkampf oder zeichnet den aus einem Agon hervorgegangenen
Sieger mit dem sog. Niketerion aus. Auf dem Mosaik in Larissa wird nun Eros
als Gott der Liebe im Gymnasium von Nike zum Sieger erkoren.
Ein Kult des Eros konnte in Larissa noch nicht nachgewiesen werden. Indizien
gibt es hingegen, daß auf der Insel Samos ein Gymnasium dem Eros geweiht
war (Athenaios, Deipnosophistai XIII, 562a; um 200 n.Chr.). Das Gebäude
konnte noch nicht eindeutig identifiziert werden.
In einem großen Gymnasiumskomplex auf Samos wurde
unser zweites Beispiel, ein Mosaik mit zwei Schwerathleten in Aktion, gefunden.
Als Schmuck eines kleinen Speiseraumes legt das Paviment davon Zeugnis ab,
wie prachtvoll und aufwendig das Gymnasium, das in erster Linie der körperlichen
Ertüchtigung junger Männer diente, ursprünglich ausgestattet
war. Zu der Anlage gehörten u.a. ein Stadion, eine Palästra, Bäder,
Speise- und Erholungsräume. Hier trafen sich vorwiegend Vertreter einer
aristokratisch gefärbten Oberschicht, um für lokale Agone wie
auch panhellenische Wettkämpfe zu trainieren.
Das Mosaikbild gibt eine Szene in einer Palästra wieder.
Zwei Boxer stehen sich in Ausfallstellung mit erhobenen Armen gegenüber
(die rechte Figur ist leider größtenteils zerstört). Beide
sind nackt und haben muskulöse, sonnengebräunte Körper. Sie
tragen Boxhandschuhe, die bis in die Mitte der Oberarme reichen und aus
rindsledernen Riemen über fellbesetzten Handschuhen bestehen.
Der Boxsport (Pygme) war seit dem 7. Jh. v. Chr. eine der
wichtigsten Kampfdisziplinen in Olympia. Die anspruchsvolle Technik und
der oft brutale Kampfverlauf übten auf Athleten und Zuschauer eine
besondere Anziehungskraft aus.
Im antiken Boxkampf galten die Schläge
ausschließlich dem Kopf und dem Gesicht. Aus diesem Grund haben die
Athleten in unserem Bild ihre Arme nach oben gestreckt, ohne den Körper
zu schützen. Die weite Schrittstellung und der zurückgebogene
Kopf sind charakteristisch für die Grundstellung (Auslage), die die
Faustkämpfer bei Kampfbeginn einnahmen. In dieser Phase wurden mit
den Fingern der geöffneten Hand die Schläge lediglich angedeutet.
Es handelt sich um das sog. "Tupfen" (Akrocheirismos), eine Technik, die
ausführlich bei Philostrat beschrieben wird (Peri Gymnastikes 50; erste
Hälfte des 3. Jh. n. Chr.). Die roten Flecken im Gesicht des linken
Boxers sind als Blutspuren zu deuten. Das würde heißen,
daß der Szene bereits ein Kampf vorausgegangen ist.
Die rechte Partie des Mosaiks ist stark beschädigt,
doch läßt sich die Haltung des rechten Athleten in etwa rekonstruieren.
Bei dem nur fragmentarisch erhaltenen Gegenstand am rechten Bildrand könnte
es sich um einen Siegespreis handeln - vielleicht ein Dreifuß, der
mit einer roten Binde umwickelt ist.
Am linken Rand des Mosaiks befindet sich ein eckiger Pfeiler
mit dem Kopf des Gottes Hermes. Dieser ist eindeutig an seinem breitkrempigem
Schlapphut, dem Petasos, zu erkennen. Derartige Hermen wurden als Schutz-
und Glückszeichen seit dem 6. Jh. v.Chr. in Palästren aufgestellt.
Daneben gibt es auch Hermen mit dem Kopf des Herakles, der als Prototyp
des unschlagbaren Einzelkämpfers ebenfalls dem gymnasialen Kreis sehr
nahesteht.
Hermes hat von allen Göttern den engsten Bezug zu den
sportlichen Wettspielen. Wegen seiner Kraft und Schnelligkeit wird er als
Gott der Agone (Hermes Enagonios), als Schutzherr von Gymnasium und Palästra
verehrt. Er gilt als vollendeter Faustkämpfer, Läufer und Diskuswerfer
und wird vor allem von der männlichen Jugend als Vorbild angesehen.
Die steife Hermenform hebt freilich diesen sportlichen Aspekt des Gottes
nicht gerade hervor. Auf dem samischen Mosaik verweist das Standbild in
erster Linie auf die Sphäre der olympischen Götter, der sich die
Athleten, wie wir gesehen haben, auch noch in der fortgeschrittenen Kaiserzeit
eng verbunden fühlten.
Verf., Der sportliche Agon auf römischen Mosaiken in
Griechenland, Nikephoros 2000 (ausführliche Anmerkungen ergänzen
den hier veröffentlichten Text); A. Tziaphalias, ADelt 43,1, 1988,
Chron 266f. Taf. 142; W. Martini, Das Gymnasium von Samos. Samos XVI (1984)
243ff. Abb. 82 Taf. 1. 31. 35.
Abb. 1 (Postkarte aus dem Archäologischen Museum
von Larissa); Abb. 4 (Martini a.O.); sonst Verf.