Griechenland während der NS-Zeit


Zitat 5
Petrakos S. 172ff.

In einem Interview, das am 16. Juni 1945 für die Zeitschrift "Elefthera grammata" aufgezeichnet wurde, gibt der griechische Archäolge Christos Karouzos seine persönlichen Erfahrungen und Eindrücke während der Besatzungszeit wieder.
Christos Karouzos (1900-1967) war ein herausragender Wissenschaftler. Er hatte in Deutschland studiert und war von der deutschen Schule stark geprägt. Er verfügte u.a. über eine profunde Kenntnis der deutschen Kultur, ihrer Philosophie und Dichtung.
Während des Krieges kühlte sein Verhältnis zu den deutschen Kollegen deutlich ab. Unmittelbar nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Athen erklärte er dem Deutschen Archäologischen Institut seinen Austritt als Mitglied.
In späteren Jahren hatte er wieder ein engeres Verhältnis zu deutschen Archäologen. Er reiste mehrfach nach Deutschland und nahm dort Ehrungen entgegen.



Was waren Ihre Empfindungen als Sie die ersten Deutschen (Soldaten) sahen?
In einem Haus, das ziemlich weit entfernt ist von der Leoforos, man kann sie jedoch sehen, hörte ich am Morgen jenes schwarzen Sonntags das nahende Dröhnen von Motorrädern und Panzern. Irgendwann entschied ich mich, an das Fenster zu treten: die roten Fahnen mit den schwarzen Kreuzen erschütterten mich und riefen mir die Verse Dantes ins Gedächtnis: "Vexilla regis prodeunt inferni" (Es treten hervor die Fahnen des Königs der Hölle).
Ich ging wieder ins Zimmer und tat, was ich schon lange vorhatte: Ich schickte dem DAI meine Rücktrittserklärung als ihr Mitglied. Schon seit Jahren hatte das Institut keinen Bezug mehr zur Wissenschaft und es sollte ihnen die Hoffnung genommen werden, daß sie Erfolg haben würden mit ihrem systematischen und methodischen Bemühen, uns alle zu beschmutzen durch "unschuldige" Angebote friedlicher und kultureller Zusammenarbeit.

Welcher Druck wurde auf Sie von den Besatzungsmächten ausgeübt?
Auf mich persönlich keiner (...)
Sie riefen umso mehr unseren Widerwillen und Haß hervor, als wir sahen, daß sie versuchten, unsere Behörde zu unterdrücken und lächerlich zu machen. Diese Menschen (also die deutschen Archäologen) hatten nicht nur viele Jahre in Griechenland verbracht und von all ihren griechischen Kollegen die wärmste Freundschaft empfangen; nicht nur, daß sie behaupteten, daß Griechenland zu ihrer Heimat geworden war und sie ihre deutschen Namen in griechische umwandelten (wie Werner in Wassilis), sondern vor dem Krieg hatten sie sich um die griechischen Kollegen bemüht und ihnen wie Hündchen geschmeichelt: zugleich frech, feige und unterwürfig, wurden diese Menschen nach und nach zu unseren Peinigern.
Es gab sicher auch einige, die aufrichtige Menschen blieben, die dem griechischen Volk mit Scham gegenübertraten wegen des Verhaltens ihrer Kollegen und Landsleute. Diese taten, was in ihrer Macht stand, Menschen zu retten - aber ich fürchte, daß wenn wir sie zählen wollten, wir das gleiche erleben würden wie Solomos, der die Gerechten zählen wollte: fünf Finger einer Hand wären immer noch zuviel.
Als die Deutschen einmarschierten, verlangten die Beaufragten des Kunstschutzes sofort, daß alle Museen geöffnet werden sollten. Der Krieg sei beendet, die Antiken würden Schäden davontragen u.s.w. (...)
Der trotzige Widerstand unserer archäologischen Behörde schützte unsere wichtigsten Museen vor der Katastrophe und vor Plünderungen. Denn da, wo sich die Möglichkeit ergab, zum Glück nicht sehr oft, kam es zu beidem (Zerstörung und Diebstahl).
Sie haben es geschafft, das Kerameikosmuseum zu öffnen, das sie selbst errichtet hatten: in wenigen Tagen hatten deutsche Offiziere vor den Augen eines deutschen Archäologen, der sie führte, einen schönen archaischen Pinax mit der Darstellung einer Prothesis gestohlen.
In vielen anderen Provinzmuseen hausten Deutsche und Italiener; in manchen Museen zerstörten sie Vitrinen und Magazine, in anderen verbrannten sie das Holzmaterial, woanders nahmen sie, was sie an antiken Gegenständen fanden, mit (...). Viele Ruinen haben unheilbare Schäden erlitten, damit sie ihre "uneinnehmbaren" Festungen errichten konnten und auf die Steine schrieben "Vinceremo" oder "der Sieg ist unser".
Unser archäologischer Dienst unterließ keine Möglichkeit, ihrem militärischen "Kunstschutz", in ungewöhnlich freier Rede und in scharfem Ton ihre Verbrechen anzuzeigen. Die archäologischen Peiniger, die dort dienten (ich meine in erster Linie die Deutschen; der Italiener verhielt sich viel besser) sorgten sich nur darum, daß sie nicht an die Front kamen. Ihr ganzer Mut äußerte sich in unbeschreiblich frechen und unverschämten Schreiben, die diese Hündchen von gestern an unseren achtbaren Alten schickten, dem vom Ministerium eingesetzten Direktor der griechischen Altertümer (...)

Was hat sie am meisten beeindruckt von den Verbrechen der Nazis in unserer Heimat?
Ich habe gehört (und konnte es auch mehrmals bestätigt finden), daß viele von jenen Deutschen, die solch schreckliche Befehle gaben zu haarsträubendem Massenmord oder der Zerstörung ganzer Dörfer, sehr gebildet waren, einige sogar eine klassische Erziehung genossen hatten. Ich glaube, daß genau dies eines der schmerzhaftesten Probleme ist, das die faschistische Periode und die gnadenlose Form des Krieges, der ihre Frucht ist, bei den Menschen aufgeworfen hat.
Wir halten daran fest, zu glauben (und wir dürfen nicht verzweifeln), daß die wirkliche Erziehung nicht nur die geistigen Fähigkeiten fördert, aber auch den ganzen Menschen formt - wie können wir dies jedoch erreichen?

Abbildung: B. Petrakos, I peripeteia tis ellinikis archaiologias ston bio tou Christou Karouzou (1995); Übersetzung: Alexandra Kankeleit
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