Raubvögel in der frühgriechischen Kunst
            
            Bildkonventionen in archaischer Zeit
            
             Auszüge aus der Magisterarbeit 1988*
            
             In den frühen Hochkulturen spielen Raubvögel eine wichtige
              Rolle als
              Attribut, Sinnbild oder Personifikation der obersten Gottheiten
                und Herrscher
              . Auch in der griechisch-römischen Antike wird Raubvögeln eine
              besondere Bedeutung beigemessen. So ist der Adler dem Gottvater Zeus/Jupiter zugeordnet. 
              
              Die homerischen Epen erwähnen Raubvögel im Zusammenhang mit
              wichtigen kriegerischen Ereignissen. In entscheidenden Momenten erscheinen
              am Himmel Adler oder Habicht als Vorzeichen der Götter.
              
              Bereits in der orientalischen Kunst ist das Thema des Raubvogels im
              Kampf mit einer Schlange
              geläufig. In Griechenland wird der fliegende
              Raubvogel mit oder ohne Schlange seit dem 7. Jh. v. Chr. als Schildzeichen
              verwendet. Auf frühgriechischen Bildern tritt er häufig auch
              als Begleiter von berittenen Kriegern auf. 
              
              Eine wichtige Rolle spielt der Adler weiterhin in Darstellungen der
              Prometheussage
              . Die archaische Vasenkunst überliefert zwei charakteristische
              Momente des Mythos. In Sparta steht die Bestrafung des Prometheus im
              Fokus: Auf lakonischen Vasenbildern stürzt sich der Adler auf den
              tragischen Helden herab mit dem Ziel, den Leib seines Opfers zu zerreißen.
              In Attika wird diese brutale Szene des Mythos nicht dargestellt: Hier
              konzentriert sich die bildende Kunst auf die Rettung des Prometheus
              durch Herakles, der den Adler mit seinen Pfeilen töten wird.
              
              In der griechischen Vasenkunst treten Raubvögel seit dem späten
              8. Jh. v. Chr. auf und bilden schließlich im 7. und 6. Jh. v.
              Chr. einen
              unverzichtbaren Bestandteil der Ikonographie
              . Sie sind in
              allen relevanten Vasengattungen archaischer Zeit anzutreffen, in großer
              Zahl vor allem auf korinthischen, lakonischen und attisch-schwarzfigurigen
              Vasen. Sie finden sich auch auf Bronzeblechen, Münzen und Terrakottaplatten. 
              
              In den orientalischen und ägyptischen Frühkulturen
                werden Darstellungskonventionen festgelegt, die über einen langen
                Zeitraum beibehalten und selbst in der griechischen Kunst des 5. Jhs.
                v. Chr. nur geringfügig verändert werden. 
              
              
              Raubvögel treten bereits auf mesopotamischen und ägyptischen
              Kunstwerken des 4. Jts. v. Chr. auf. Vögel mit über dem Rücken
              auseinandergespreizten Flügeln (Abb. 1) und Vögel, bei denen
              der hintere Flügel vor der Brust geöffnet ist (Abb. 2), werden
              bevorzugt in der neuassyrischen Reliefkunst dargestellt. 
            
              
              Abb.
              1
               
 
              Abb.
              2 
              
            
            Zur Seite fliegende Vögel mit rechtwinklig vom Körper abgespreizten
            Flügeln (Abb. 3) oder mit erhobenen gestaffelten Flügeln (Abb.
            4) sind offensichtlich ägyptische Schöpfungen. Meistens werden
            Sing- und Wasservögel auf diese Weise wiedergegeben.
            
              
              Abb.
              3
              
              Abb.
              4 
              
            
            Raubvögel wie Falken und Geier werden in Ägypten mit heruntergeklappten
            Flügeln dargestellt. Diese
            
unnatürliche Flügelhaltung charakterisiert
              ausschließlich göttliche Vögel
            wie Horus und Nechbet.
            Die strenge Stilisierung und der emblematische Charakter unterstreichen
            ihre wichtige Rolle in der ägyptischen Religion. 
            
            Stehende Vögel im Profil finden sich schon früh in fast allen
            Kulturkreisen (Abb. 5).
            
              
              Abb.
              5 
              
            
            Vom 4. bis 1. Jt. v. Chr. dominiert im Orient die
            
heraldische Darstellungsweise
            :
            frontaler Körper mit symmetrisch ausgebreiteten Flügeln und
            zur Seite gewandtem Kopf (Abb. 6).
            
              
              Abb.
              6 
              
            
            Eine bedeutende Rolle spielt der
            
heraldische Adler
            bei den Hethitern während
            der Großreichszeit (1450 - 1200 v. Chr.). 
            Häufig treten
            
doppelköpfige Adler
            auf. Ihre Bedeutung konnte
            bisher nicht sicher geklärt werden. 
            Im ersten Drittel des 1. Jts. v. Chr. ist der heraldische Adler im Orient
            nur noch selten anzutreffen. Dies hängt wohl mit seiner schwindenden
            Bedeutung als Wappentier zusammen. In der orientalischen Elfenbeinkunst
            des 8. Jhs. v. Chr. tritt der heraldische Adler nur sporadisch und in sehr
            kleinem Format auf. 
            
Erst im 5. Jh. v. Chr. kommt der Wappenadler bei den Skythen wieder zu neuen
              Ehren.
            Bei allen Darstellungen sind die charakteristischen Körperteile
            (Kopf, Schwanz, Flügel und Fänge) so wiedergegeben, daß
            sie auf einen Blick möglichst vollständig erfaßt werden
            können. Jeder Körperteil ist durch eine begrenzende Konturlinie
            deutlich vom Leib abgehoben. 
            
            Zur Seite fliegende Vögel mit am Handgelenk abgeknickten Flügeln
            kommen in der orientalischen Kunst sehr selten vor. Bei diesen Darstellungen
            wurde der oben besprochene heraldische Typus (Abb. 6) um 90 Grad gedreht.
            Entweder liegen beide Beine symmetrisch an den Körperseiten an oder
            sie werden ganz weggelassen (Abb. 7).
            
              
              Abb.
              7 
              
            
            In der griechischen Kunst bildet sich in der zweiten
            Hälfte des 8. Jhs. v. Chr. eine
            
Formel für den fliegenden Raubvogel 
            heraus, die während der ganzen Archaik
            
von kanonischer Gültigkeit
            bleibt (Abb. 8). Ihre wesentlichen Kennzeichen sind der im Profil dargestellte
            Vogelkopf und die in die Fläche geklappten Flügel, die am Handgelenk
            rechtwinklig abknicken.
            
              
              Abb.
              8 
              
            
            Die Abhängigkeit von orientalischen Vorbildern (s. Abb. 7) ist evident.
            Der horizontal ausgerichtete Kopf und die wie in der Sturzflugphase vorgewölbten
            Flügel verleihen der Darstellung allerdings eine Dynamik, die die
            orientalischen Beispiele vermissen lassen. Die gleitende Bewegung des
            Fluges wird prägnanter zum Ausdruck gebracht. 
            Eines der frühesten Beispiele dieses Typus findet sich auf einem
            protokorinthischen Aryballos der frühorientalisierenden Phase (vgl.
            H. Payne, Protokorinthische Vasenmalerei, 1933, Taf. 6,1; spätes
            8. oder erste Hälfte des 7. Jhs. v. Chr.). Bei dem in schwarzer Silhouette
            gemalten Raubvogel läßt sich nicht entscheiden, ob die Flügel
            von unten oder oben gesehen sind. Dasselbe gilt für den palmettenförmigen,
            in Umrißzeichnung wiedergegebenen Schwanz. Die Klaue an der Unterseite
            des Körpers läßt den Bauch als im Profil gezeichnet erscheinen
            (Abb. 9). Offensichtlich gibt die Darstellung kein konkretes Flugbild
            wieder, das einer Naturbeobachtung entspringt, stattdessen vereint sie
            
mehrere Ansichten des fliegenden Vogels
            . 
            
            Es handelt sich um ein typisches Beispiel von
            
"Wechselansichtigkeit"
            .
            Auf diese Weise brachten "vorperspektivische" Künstler, die charakteristische
            Eigenart und Fähigkeit einzelner Körperteile zum Ausdruck (vgl.
            G. Krahmer, Figur und Raum in der ägyptischen und griechisch-archaischen
            Kunst, 28. HallWPr, 1931, 19ff.; N. Himmelmann, Bemerkungen zur geometrischen
            Plastik, 1964, 21; B. Kaeser, Zur Darstellungsweise der griechischen Flächenkunst,
            1981).
            
              
              Abb.
              9
              
            
            Seit dem zweiten Viertel des 7. Jhs. v. Chr. wird das Gefieder in Ritztechnik
            angegeben. Wegweisend ist die Federzeichnung des Raubvogels auf einem
            protokorinthischen Aryballos (Payne a.O. Taf. 20,1). Die Schwungfedern
            sind durch horizontale Ritzungen angedeutet und von der Schulterpartie
            durch zwei vertikale Linien abgesetzt. Ebenso ist der Palmettenschwanz
            durch zwei parallele Linien vom Körper getrennt. Die Klaue ist bei
            dem Schildzeichen nicht sichtbar (Abb. 10).
            
              
              Abb.
              10
              
            
            Diese Darstellungsweise wird in der spätprotokorinthischen Vasenmalerei
            beibehalten. Hinzu kommen Details wie der unterteilte Schnabel und eine
            Trennlinie zwischen Körper und Kopf. In zunehmendem Maße werden
            mittels Ritzungen und Farbauftrag auch Orbital, Nasenloch, Ohr und Klaue
            sowie Schwung- und Schwanzfedern angegeben. Die untere Körperkontur
            der Vögel ist immer durchgezogen, während die obere in der Regel
            vom Flügel überschnitten wird. Der obere Flügel scheint
            dadurch organisch aus dem Rumpf herauszuwachsen. Er wird als der vordere
            Flügel empfunden, der sich dem Betrachter am nächsten befindet.
            Der untere Flügel wirkt weiter entfernt. Auf diese Weise wird eine
            
Schrägansicht von unten
            suggeriert. 
            
            Der von Korinth geprägte Typus des fliegenden Vogels breitet sich
            im Laufe des 7. Jhs. v. Chr. in ganz Griechenland aus. In Athen erlebt er
            seinen künstlerischen Höhepunkt in den monumentalen Adlern des
            Nessos-Malers. Auf der sog. Nessosamphora stößt der Raubvogel
            im steilen Flug hinab (Abb. 11; S. Papaspyridi-Karouzou, Aggeia tou Anagyrountos,
            1963, Taf. 88). Eine hochgezogene Klaue ist sichtbar. Der Kopf des Adlers
            ist aus ornamentalen Einzelformen zusammengesetzt. Zwei konzentrische
            Kreise bilden das Auge. Das Ohr besteht aus einer kleinen Volute.
            
Auch
              bei den Details wird das Prinzip der Wechselansichtigkeit deutlich.
            Man
            hat den Eindruck, daß der Vogel von unten gesehen wird. Dennoch
            wurden in der mittleren Zone der Flügel die Decken angegeben, die
            nur von oben sichtbar sind. Es war nicht die Absicht des Malers, ein möglichst
            getreues Abbild der Natur wiederzugeben, sondern wesentlich erscheinende
            Charakteristika des fliegenden Raubvogels in einer Darstellung zu vereinen.
            
              
              Abb.
              11 
              
            
            Bei einigen Varianten dieses Typus sind die Flügel auf dem Vogelleib
            miteinander verbunden. Eine Lekanis des frühen 6. Jhs. zeigt einen
            großen fliegenden Adler, der eine Schlange im Schnabel hält
            (Abb. 12; MuM Basel 16, 1956, Taf. 17). Seine Bauchkontur ist nicht angegeben.
            Die Schwingen treffen in der Mitte des Körpers fast zusammen, wie
            dies nur bei einer Ansicht von oben möglich wäre. Es ist jedoch
            eine Klaue eingezeichnet, die sich demnach fälschlicherweise auf
            dem Rücken befände.
            
              
              Abb.
              12
              
            
            Das 6. Jh. v. Chr. bringt bezüglich der Darstellung von fliegenden
            Raubvögeln keine wesentlichen Neuerungen gegenüber dem 7. Jh.
            
In über 200 Jahren wird das Schema nicht grundsätzlich verändert.
            An der althergebrachten Darstellungsweise, die weitgehend auf Verkürzungen
            und Überschneidungen verzichtet, wird festgehalten. Verschiedene
            Möglichkeiten der Gefiedermusterung werden erprobt, auch sind jetzt
            häufiger beide Klauen des Vogels angegeben, die jetzt dicht nebeneinanderliegen.
            Wichtiges Kennzeichen bleibt die spiegelsymmetrische Anlage der Flügel. 
            
            
Erst im 5. Jh. v. Chr. sind perspektivische Verkürzungen
              zu beobachten.
            Der untere Flügel ist jetzt wie bei einer Ansicht
            des Vogels von schräg unten nur zum Teil zu sehen. Die vom Körper
            verdeckte Partie muß der Betrachter in seiner Phantasie ergänzen
            (Abb. 13).
            
              
              Abb.
              13
              
            
            Im frühen 6. Jh. v. Chr. bildet sich der Typus des Raubvogels mit parallel
            hintereinandergelegten Flügeln heraus. Von dem hinteren Flügel
            ist, wenn überhaupt, nur ein schmaler Streifen der Schulterpartie
            sichtbar. Auch hier wachsen die Flügel rechtwinklig aus dem Körper
            und knicken am Handgelenk nach hinten ab, so daß die langen Schwungfedern
            parallel zum Körper verlaufen (Abb. 14). Die Vögel sind nicht
            nur fliegend dargestellt, sondern auch ruhig stehend oder in dem Moment,
            in dem sie gerade ihre Beute ergreifen.
            
              
              Abb.
              14
              
            
            Dieser Typus findet sich erstmals in der korinthischen Vasenmalerei des
            6. Jhs. v. Chr. Auf einem korinthischen Teller des frühen 6. Jhs. ist
            ein fliegender Fischadler dargestellt, der in beiden Klauen und im Schnabel
            kleine Delphine hält (Abb. 15; MuM Basel 1979, S. 64). Seine Beine
            sind nicht angewinkelt, wie es sonst üblich ist, sondern steif durchgestreckt.
            Die Flügel weisen die typische dreifache Unterteilung auf. Das Gefieder
            ist bei beiden Flügeln identisch. Es wurde also
            
kein Unterschied
              zwischen Außen- und Innenansicht
            gemacht. Die mittlere Gefiederzone
            des vorderen Flügels greift auf den Bauch über, wodurch eine
            organische Verbundenheit suggeriert wird.
            
              
              Abb.
              15
              
            
            Im 5. Jh. v. Chr. steigt die Popularität dieses Typus. Auf Münzen
            und rotfigurigen Vasen verdrängt er allmählich die ältere
            Formel (vgl. Abb. 8). Häufig wird der Adler des Zeus auf diese Weise
            dargestellt. In der zweiten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. findet eine
            grundlegende Veränderung statt. Die Flügel sind nicht mehr streng
            parallel gestaffelt, sondern X-förmig überkreuzt angeordnet.
            Häufig überschneidet der hintere Flügel die Brustkontur.
            Der Schwanz ist schmaler geworden und leicht nach unten geneigt (Abb.
            16; P.R. Franke-M. Hirmer, Die griechische Münze, 1964, Taf. 63 Nr.
            179).
            
              
              Abb.
              16 
              
            
            Es fällt auf, daß in der griechischen Kunst der klassischen
            Zeit keine grundsätzlich neuen Typen entwickelt werden. Die kanonische
            Darstellungsweise von Raubvögeln, die sich in der Archaik herausgebildet
            hatte, wird grundsätzlich beibehalten.
            
            
 Ausschlaggebend für diese
              formelhafte, von sonstigen Entwicklungsprozessen kaum tangierte Darstellungsweise
              ist die vorrangige Bedeutung der Raubvögel als Symbol und Emblem
              im griechischen Kulturkreis. 
            
            
             Literatur
            
            *Alexandra Kankeleit, Frühgriechische Raubvogeldarstellungen, 
Magisterarbeit an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität
            zu Bonn (1988) PDF 30 MB: ausführliche Anmerkungen und ein umfangreicher Abbildungsteil ergänzen den hier veröffentlichten
            Text.
            J. Börker-Klähn, Ein altorientalisches Motiv in Griechenland
            und seine Rückwirkung auf den Iran, ZA 61, 1971, 124-156; N. Himmelmann,
            Erzählung und Figur in der archaischen Kunst (1967); C. Krüger,
            Der fliegende Vogel in der antiken Kunst bis zur klassischen Zeit (Dissertation
            Quakenbrück, 1940); J. Pollard, Birds in Greek Life and Myth (1977);
            M. Schmidt, Adler und Schlange, Boreas 6, 1983, 61ff.; R. Wittkower,
            Allegorie und der Wandel der Symbole in Antike und Renaissance (1984)
            45-56; zum Adler in der Heraldik der Neuzeit s. Artikel in 
Wikipedia.